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Leyla erzählt

Margrit Schaller

DIE SOMMER von Ronya Othman Die Autorin ist die 1993 geborene Tochter eines jesidischen Kurden und einer Deutschen. Die Protagonistin in ihrem Debutroman, Leyla, wächst in der Nähe von München auf, besucht dort das Gymnasium, studiert später. Während ihrer Kindheit verbringt sie jeden Sommer im abgelegenen, kleinen Dorf bei ihrer Grossmutter, den Tanten, Onkeln, Cousinen. Mit dem Erzählen über diese Sommer beginnt das Buch und verzaubert einen. Die Hitze des syrischen Sommers, die einfachen Lehmbauten mit ihren Höfen, in denen im Sommer auf Hochbetten geschlafen wird. Immer ist man im Clan, nie ist jemand allein, es wird sehr viel Tee getrunken und geschwatzt (die Bilder dazu, wie schön, liefert Manu Khalils Film NACHBARN, der gerade in den Kinos läuft). Aber es stehen auch immer die Koffer bereit, falls man fliehen müsste. Von diesen Sommern erzählt Leyla mit einer innigen Zärtlichkeit – da ist wohl wenig fiktionalisiert, das sind Erlebnisse der Autorin. Aber nicht nur Leyla erzählt, auch ihr Vater. Die Kurden sind unterdrückt, auch wenn dort geboren, keine syrischen Staatsangehörigen, sondern «staatenlos». Die Polizei und Soldaten kommen vorbei, unberechenbar, sie müssen dann arabisch sprechen, kurdisch ist verboten. Der Vater, der geflüchtet ist aus seinem Dorf und seine Leute zwar liebt, aber doch für sehr rückständig hält, erzählt immer wieder aus seinem Leben, von seiner Flucht. Und diese Passagen lassen einem den Atem stocken. Folterszenen habe ich noch nie so gelesen, einfach erzählt, der Vater berichtet der Tochter wie es war, ruhig, knapp. Was man schon seit Jahren und immer wieder in den Zeitungen gelesen hat verdichtet sich zu menschlichem Leiden, ganz nahe. Für eine solche Passage erhielt Ronya Othman 2019 in Klagenfurt den Publikumspreis. Daneben begleiten wir aber Leyla auch in ihrem «normalen deutschen» Leben. Sie wird Teenager, junge Frau. Zwar kann sie nicht mehr nach Syrien reisen, sie können mit den Verwandten nur telefonieren, der Vater schaut ohne Unterbruch TV-Nachrichten, Al Jazeera und anderes, stundenlang. Leyla lebt geistig in zwei Welten, fühlt sich einsam, sucht ihren Weg – und entscheidet sich.



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