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Tipp für ü 60iger*innen!

Margrit Schaller

ALTER, FREMDES LAND von Natascha Wodin

Eine outstanding story, zwar Roman, aber sicher nahe an der Autorin, was sie auch nicht zu verheimlichen sucht. Erschienen ist es 2014, die Protagonistin Lea ist 63jährig, die Autorin ein paar Jahre älter. Und Älterwerden ist das Thema, die ersten Gebresten die plötzlich da sind und Lea direkt und brutal damit konfrontieren, dass das Ende näher rückt, sie wird in ein «fremdes Land» katapultiert. Lea lebt allein in Berlin, sie hat keine Kinder und ihre letzte Beziehung ist seit Jahren zu Ende, das älter werden ist nur mühselig. Da entdeckt sie recht zufällig im Internet die Erotik Chats und es beginnt eine wilde Reise durch die virtuelle Welt von Begierde, Obsessionen, geheimen Leben. Sie stürzt sich in diese andere Welt mit Leidenschaft. Sie macht sich zur jungen Frau, chattet nächtelang mit ihrer ganzen Wortgewandtheit über ihr Begehren und ihre angestauten Sehnsüchte. Und sie trifft auf Männer, die ihr so antworten. Sie geht davon aus, dass kein Mann an ihr interessiert wäre, wüsste er ihr richtiges Alter. Als sie dann die ersten real dates eingeht, macht sie eine ganz andere Erfahrung: Sie wird begehrt, trotz oder auch wegen ihres Alters. Nun holt sie die wilden Jahre nach, die sie als junge Frau nie hatte. Neben lustvollen one night stands lässt sie sich auch ein auf wunderbare und desaströs unmögliche Begegnungen. Mit Ruslan zum Beispiel, dem 23-jährigen Pianisten, erlebt sie musikalische und sexuelle Höhenflüge. Bis er zur Fortsetzung seiner Karriere nach New York abreist. Bei allen aus der virtuellen in die physische Welt transportierten Treffen ist aber klar, es geht nicht um Beziehung, es geht um Sex. Bis es dann doch geschieht, sie verliebt sich in einen nur wenig jüngeren Mann und er in sie. Sie wollen zusammen weiterleben. Aber der virtuelle Erotiksog ist stärker. Das mag in der Zusammenfassung banal klingen, Natascha Wodin aber beschreibt den Ausbruch der alternden Frau unglaublich präzise, fliessend, nüchtern fast, sehr nahe und selbstreflexiv und nie, nie peinlich.




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