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Ein fantastisches literarisches Kaleidoskop

  • Elena Wilhelm
  • 12. Juni
  • 2 Min. Lesezeit

Quasikristalle von Eva Menasse (2013)


Ich bin begeistert. Danke, Katharina, für diese erfüllende Ferienlektüre, die ich bis jetzt verpasst hatte. Quasikristalle begeistert durch Sprache und Struktur, durch ungeheure Menschlichkeit, durch kluge Ironie und präzise Beobachtung. Quasikristalle verweist begrifflich auf eine Form, die Ordnung besitzt, aber keine Wiederholung, eine Struktur ohne starres Raster. Und genau das trifft auf den Aufbau des Romans zu. Statt einer linearen Erzählung begegnen wir Xane Molin in dreizehn Episoden, erzählt aus der Perspektive von Menschen, die ihr auf die eine oder andere Weise begegnen: Der Schwester der Jugendfreundin, des Vermieters, der Gynäkologin, des Ehemanns, einer zufälligen Bekanntschaft, ihres Sohnes und einmal auch aus ihrer eigenen Perspektive. Wie in einem Kaleidoskop entsteht ein facettenreiches Bild einer Frau, ohne dass sie je wirklich greifbar würde. Und genau darin liegt der Zauber und Sog dieses Romans.

Menasses Sprache ist elegant, scharf, pointiert. Es hat Sätze, die man sich unbedingt für immer einprägen möchte. Menasse hat ein Gespür für die leisen und schmerzhaften Situationen des Alltags, für gesellschaftliche Ungleichheit, für das, was Menschen antreibt, lähmt oder formt. Menasse schafft es, jede Erzählstimme authentisch und absolut überzeugend zu gestalten. Jeder Perspektivwechsel ist auch ein literarischer Ortswechsel, eine neue Welt mit eigenen Regeln und Stimmungen. Es schmerzt jedesmal, die Menschen aus Xanes Leben wieder loslassen zu müssen. Was mich am tiefsten berührt hat, ist die Melancholie, die unter dem ironischen Ton mitschwingt. Es ist ein Buch über das Leben in seiner Unübersichtlichkeit, über die grossen und kleinen Entscheidungen, über Rollen, die man sich selbst zuschreibt oder zugewiesen bekommt, über das Altern, das Elternsein, das Frausein und das Dazwischen. Quasikristalle ist ein intelligentes und tiefgründiges Buch. Gescheit konstruiert, nie kalt, literarisch anspruchsvoll, nie unnahbar. Ein Meisterwerk, finde ich.

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