BLUTBUCH von Kim de l’Horizon Da meldet sich wirklich eine wunderbar vielseitige, erzählerisch mitreissende, sensible, philosophische und auch krasse Stimme zu Wort. Die öffentlichen Auftritte seit der Verleihung des Deutschen Buchpreises haben uns einen schillernden Paradiesvogel gezeigt – und ich meine, das ist Kim de l’Horizon auch. Und so vielschichtig ist der Roman. Über weite Strecken eine sehr liebevolle und differenzierte Auseinandersetzung mit der Grossmutter und der Mutter, der Grossmeer und der Meer, wie er sie nennt – auch für nicht Berner:innen gut verständlich. Ein fantastischer und auch vergnüglich zu lesender Teil ist die mütterliche «Blutlinie», ein Stammbaum der irgendwo im 12. Jahrhundert beginnt und Frauen- und vor allem Muttergeschichten erzählt. Und spannend auch die soziologisch/naturwissenschaftliche Recherche nach der Blutbuche, die viel Raum einnimmt. Anhand dieses Baumes im Garten der Grossmeer, bekommen wir eine interessante Entwicklungsgeschichte der Gartengestaltung erzählt.
Die Suche nach dem Ich im richtigen Körper, der einfach sein will, ohne Kategorien, beginnt schon früh im Leben der Erzählstimme, die ganz offensichtlich sehr nahe am Leben und den Erfahrungen des Schreibenden ist, das zieht sich durch den ganzen Roman. Und da werden uns auch drastische Sexszenen zugemutet. Kim de l’Horizon hat im September im Aargauer Literaturhaus ein Gespräch geführt zu «Pornografie und Literatur» (mensch/man kann es nachhören) das einen vertieften Blick in das Leben zwischen oder ausserhalb der sexuellen Normen gibt. Und da hören wir ihn auch singen, schön!
Kurz und gut, Kim ist für mich ein:e Sprachmeister:in. Das Titelzitat ist aus diesem Satz: «Ich vermute, dass es mich auch darum ins Schreiben zog, weil das Schreiben eine einzige Wellenlinie ist, eine von weither kommende Woge, die lange vor mir begonnen hat und lange nach mir weiterfliessen wird.»
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