Ragnar Kjartansson mit seinen deutschen Lieblingswörtern in Stuttgart.
Wer seine Videoinstallation «The Visitors» 2012 im Migros Museum gesehen hat, wird sich daran erinnern: Auf neun grossen Bildschirmen ist jeweils ein Musiker, eine Musikerin zu sehen, sie spielen und singen zusammen, halten sich aber in je einem andern Zimmer auf. Er selbst spielt Gitarre, in der Badewanne liegend. Das Ganze ist inszeniert in den altertümlich vornehmen Räume einer 200-jährigen Villa in Upstate New York. Nun sind die «Visitors» auch zu Gast in der grossen Ausstellung im Kunsthaus Stuttgart, zusammen mit neuen und älteren Werken und Installationen des genial-schrägen Isländers. «Me and my mother» sind vier Videos, aufgenommen in Fünfjahres- Abständen seit 2000 und zeigen immer das gleiche: Kjartansson steht neben seiner Mutter, der Schauspielerin Gudrun Asmundsdottir, und sie bespuckt ihn, immer wieder, minutenlang. Da steht man doch recht ratlos davor. Völlig wegdriften lässt sich hingegen im Video «God», wo Kjartansson eine halbe Stunde nur diese drei Worte singt: Sorrow conquers happiness. Aber wie er sie singt – hingebungsvoll, romantisch, eindringlich. Begleitet wird er von einem Orchester, das Ganze in einem leuchtend pinken Umfeld, auch der Ausstellungsraum ist eingefasst mit glänzend rosaroten Vorhängen. Und dann, im zentralen Raum, in den man auch vom nächsten Stock hinunterschauen kann, da liegt sie, die tote Dame im rieselnden Schnee. Sie ist lebendig, ja, liegt aber unbeweglich im Pelzmantel, Blut auf ihrem weissen Kleid, sanft fällt der Schnee. Die Performance ist permanent während der ganzen Ausstellungsdauer. Auch bei diesem Anblick mag man verweilen, mit einer kuriosen Mischung von Melancholie und Faszination. (Die Schauspielerinnen, so habe ich mir sagen lassen, wechseln alle 1 ½ Std.) «Scenes from western culture» sind neun Bildschirme mit Szenen, welche Kjartansson bezeichnet als «Klaustrophobie der westliche Kultur»: u.a. eine Schwimmerin in einem privaten Pool mit bellendem Hund, ein Paar das im Restaurant diniert, ein Motorboot auf dem Vierwaldstättersee (?) dem ein Paar entsteigt mit Komplikationen, er fällt ins Wasser… Es sind auch Skizzen und Gemälde zu sehen und eine grosse Installation: Hitlers Loge. Es sind tatsächlich die Überreste einer Ehrenloge, die sich Hitler 1941 im Berliner Admiralspalast einrichten liess, ein Haufen in verblasstem Grün und Gold bemalter Bretter.
Im 3. Stock dann die 7-Kanal-Videoinstallation «Death ist elsewhere», wo wir auf einer grünen Wiese in Island stehen, Hügel und Lavafelder begrenzen sie. Zwei Paare, die Frauen und die Männer sind Zwillinge, umrunden uns singend. Auch hier eine ruhige, eher traurige Grundmelodie, wir drehen uns mit den Paaren im Kreis, wenn auch wohl kaum für die Gesamtdauer von fast 1 ½ Std. Das sind Kjartanssons Markenzeichen: Die Wiederholungen, die langen Spieldauern, die Verfremdungen, die Melancholie, die uns vor allem durch den eigenwilligen Umgang mit Musik einhüllt. Mit Kjartansson kann man abheben, sich entführen lassen in andere Dimensionen…
(bis 20.10.19)