«Underground Railroad», 2017 herausgekommen und der dieses Frühjahr erschienene Roman «Die Nickel Boys» sind beides Bücher, die an die Schmerzgrenze gehen – für manche darüber hinaus. Der 50-jährige Afro-Amerikaner Colson Whitehead führt uns mit beiden Geschichten in dunkelste Kapitel der US-amerikanischen Vergangenheit. In «Underground Railroad» begleiten wir die Sklavin Cora auf ihrer Flucht aus der Plantage in Giorgia, wo die schwarzen Leibeigenen bis aufs Blut ausgebeutet werden und in totaler Rechtlosigkeit leben. Die Flucht gelingt ihr mit Hilfe der – fiktiven – Underground Railroad, die bei Whitehead als reale, geheime, unterirdische Zuglinie vom Süden in den Norden funktioniert. In North Carolina kann sie dann arbeiten, als Haushalthilfe und Museumsfigur, bis sie wieder fliehen muss, denn entlaufene Sklaven und Sklavinnen werden gesucht und zu ihren Besitzern zurückgeschickt. Was dann auf sie wartet ist unbeschreiblich – aber Whithead tut es. Cora wird noch nicht erwischt, sie harrt monatelang auf einem engen Estrich versteckt aus, wo sie sich nicht aufrichten kann und eine höllische Hitze herrscht. Durch eine Luke im Dach sieht sie auf den Stadtpark, wo jeden Freitag eine Hinrichtung durch Erhängen stattfindet. Schwarze Männer und Frauen, denen irgendetwas angehängt wird aber manchmal auch Weisse, so das Paar, das Cora versteckt hat und verraten wurde. Nochmals kommt sie davon und lebt eine Weile auf einer Farm, wo geflüchtete Sklaven Zuflucht finden und zur Schule gehen können. Das Ende ist dramatisch und offen. Und obwohl der Roman Anteile von Fantastik enthält, spüren wir Leser_innen sehr wohl, dass die geschilderten Grausamkeiten Realität waren.
In «Die Nickel Boys» ist gar nichts mehr von Fantasy, diese Geschichte lehnt sich sehr stark an die Realität des «Schulheims» Marianna in Florida an, eigentlich ein Kindergefängnis, und beginnt in den 60iger Jahren, als der junge Protagonist irrtümlich, nämlich komplett unschuldig, dort platziert wird. Im Vorwort verweist Colson Whitehead auf die Entdeckung eines Gräberfeldes, wo Kinder und Jugendliche verscharrt wurden, welche im Heim den Tod fanden. Überlebende tauschen sich seit Jahren auf einer Website aus und Hunderte berichten über schwerste Misshandlungen und Ausbeutung. Das Heim wurde 2011 geschlossen. Das macht die Geschichte des klugen, von seiner Grossmutter streng erzogenen Elwood fast unerträglich – sie spielt sich nicht vor 150 Jahren ab, solche Zustände herrschten bis vor einigen Jahren oder mindestens Jahrzehnten. Das Buch hat drei Kapitel: Elwood wächst bei seiner Grossmutter in Tallahassee in Florida auf und merkt bald, dass er ein Ziel hat, den Collegebesuch. Und er schafft es, ein Stipendium für ein (schwarzes) College zu erhalten. Dann der dramatische Einschnitt, seine Einweisung ins Nickel. Der zweite Teil beschreibt wieder das Unbeschreibliche, das dort den Alltag prägt; Gewalt, Brutalität, Korruption. In Teil drei mit raffinierter Wendung begegnen wir dem erwachsenen Elwood, der geschäftlich erfolgreich wird mit einem Zügelunternehmen – getröstet werden wir nicht.
Wem kämen da nicht die Schicksale unserer Verdingkinder in den Sinn?
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