Selten so viel gelernt
- Margrit Schaller
- 22. Sept.
- 2 Min. Lesezeit
KALTE FÜSSE von Francesca Melandri Die Italienerin Francesca Melandri arbeitet anhand der Lebensgeschichte ihres Vaters die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf – und was wir daraus lernen müssen. Vom individuellen Leben, dem Umgang mit Entscheidungen und Erinnerungen und vor allem Verdrängungen, führt sie uns immer wieder in die grosse Geschichte, verbindet, verknüpft. Und wir schlucken leer, verstehen, erschrecken, fühlen uns ertappt. Sie schreibt aus unserer Zeit in Westeuropa heraus, die wir keinen Krieg erlebt haben und es uns auch nicht vorstellen können, was das heisst, Krieg. «Denn der Krieg ist nicht aus Waffen gemacht, sie dienen ihm nur als Werkzeug, er ist vielmehr aus den Körpern der Menschen gemacht. Und mein Körper kennt – zu meinem unverdienten, unendlichen Glück – nur den Frieden. Was also könnte ich davon verstehen?» Immer wieder stellt sie sich und uns Fragen bei denen wir erschrecken, dass sie nicht schonlängst und immer wieder gestellt wurden. Der berühmte «Russenfeldzuges» der italienischen Alpini unter Mussolini war eigentlich ein Ukrainefeldzug, der noch heute heldisch verbrämt wird. Der Rückzug hat vielen Italienern das Leben gekostete, sie sind erfroren. Aber sie gingen zuerst hin – als Besatzer eines faschistischen Regimes. Und Melandris Vater war dabei. Aber Zeit seines Lebens war er ein Held, der Offizier, der Soldaten mit dem Rückmarsch gerettet hatte. An diesem und vielen andern Beispielen öffnet uns die Tochter die Augen, wie trügerisch wir die Welt wahrnehmen «…wir sitzen in unserem sicheren Westeuropa, der goldenen Insel des Wohlstands und Friedens, und verzweifeln voller Empathie an der Verkommenheit der Welt; ohne dass der Krieg je durch unsere Körper hindurchgegangen wäre, schreiben wir nachdenkliche, sorgenvolle Artikel, diskutieren über die Tastatur gebeugt…» Kaum ein Buch hat mir mehr geholfen, Geschichte und Gegenwart zu verstehen.
