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Ein Finöggel zwischen Heiligen und dem Teufel

DER HALBBART von Charles Lewinsky

Die Hauptfigur, der unermüdliche Ich-Erzähler, ist ein Bub von 12 bis 14 Jahren, der Sebi. Er lebt Anfang des 14. Jahrhunderts in der Innerschweiz, bei Aegeri. Er ist eben ein Finöggel, nicht kräftig genug für die harte Feldarbeit, aber er hat ein gutes Gedächtnis und Phantasie. Früh Waise, beschliesst sein älterer Bruder, er solle ins Kloster, dort passe er hin. Aber Sebi macht im Kloster Einsiedeln himmeltraurige Erfahrungen und flieht nach ein paar Monaten. Sein Freund im Dorf hilft ihm. Es ist der geheimnisvolle, zugewanderte Fremde, das halbe Gesicht von Brandnarben entstellt und Bartwuchs nur auf der anderen Hälfte, darum Halbbart genannt. Sebi ist kein Jammeri, aber durch seine Augen und seine kluge Empfindsamkeit sehen wir das Leben dieser Zeit und das ist rau, brutal, fordernd. Die Leute sind arm, ausgebeutet von Adligen, Vögten und Klosterherren, geistig drangsaliert vom Teufel und manchmal erfreut von der Hilfe der Heiligen. Das wäre kaum auszuhalten, wenn es nicht so erzählt würde, wie der Sebi das eben für uns tut: Offen, neugierig, respekt- und liebevoll aber auch kritisch. In seiner kleinen Welt spiegelt sich auch die grosse: Es geht um den Marchenstreit, bei dem das Kloster Einsiedeln, protegiert von den mächtigen Habsburgern, sich unverfroren Ländereien und Wälder aneignet und das Volk verarmen lässt. Da gibt es den Landammann Stauffacher, der, unterstützt von Sebis Bruder Geni, vermitteln und verhandeln will und daneben die Hitzköpfe aus den Dörfern, die kämpfen wollen und töten. Sie stürmen das Kloster und rauben es aus, nehmen die Mönche gefangen. Der Sebi ist entsetzt, für ihn ist das schlimme Sünde und Unrecht, trotz seiner schlechten Erfahrungen dort. Er beobachtet gut und hat einen jungen, ungetrübten Blick auf die Verhältnisse. So weiss er dann, was er mit seinem Leben machen will: Er wird der Lehrling von Teufels-Anneli, der Geschichtenerzählerin. Während der Wintermonate zieht sie durch Dörfer und Talschaften und erzählt Geschichten, immer wieder neue, von den listigen Schandtatendes Teufels und den Wundern von Engeln und Heiligen. Und – wir haben es über fast 700 Seiten erleben dürfen – erzählen kann der Sebi wunderbar (ok, 500 Seiten hätten es auch getan). Und wie dann in den letzten Kapiteln der Mythos der Morgartenschlacht von 1315 dekonstruiert wird ist nur noch der grossartige Schlusspunkt eines insgesamt köstlichen Lesegenusses!


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