DUNKELBLUM von Eva Menasse Kurz vor Kriegsende wurden in Österreich ungarische Zwangsarbeiter massakriert. Der bekannteste Ort ist Rechnitz, wo im März 1945 nachweislich wohl 200 Menschen erschossen wurden von Gästen der Gräfin Margit Batthyany-Thyssen, die aufs Schloss geladen hatte, wo vorher und nachher getanzt und gefeiert wurde. Die Leichen werden bis heute gesucht. Was in Rechnitz geschah, gab den Anstoss zu diesem grossen Roman, aber was erzählt wird geht weit über das Verbrechen in einer Kleinstadt hinaus. Die Nacht der Exekution wird auch nicht geschildert, es geht um alles andere, und das ist viel. Wie das sehr ländliche österreichische Burgenland bereitwillig mit Hitler Deutschland kollaborierte, wie einige begeistert und die meisten stillschweigend mitmachten. Und nach Kriegsende oft in guten Positionen verblieben – der Gauleiter wurde Polizeichef. Über die Verbrechen wurde fortan geschwiegen, man versuchte mit aller Kraft zum harmlosen Kleinstadtleben zurückzukehren, obwohl viele Vieles wussten. Wie dieses Zusammenleben funktioniert, wie man sich findet und aus dem Weg geht, das wird in einer Art literarischem Universum in Kleinformat erzählt. Die Menschen und Charaktere sind vielfältig, wir hören sie schwatzen und denken, sind sehr nahe dran. Reden tun sie manchmal im Dialekt. Die Gegenwart im Buch ist 1989, wo die Region an der ungarischen Grenze plötzlich wieder politisch interessant wird: Von dort kommen die ersten Menschen aus der DDR über die geöffnete Grenze nach Österreich. Und in dieser Zeit kommt auch ein Mann zurück aus den USA, der den Dunkelblumer*innen Fragen stellt, wissen will wie es damals war. Eine Studentengruppe aus Wien reist an, um den alten, verwilderten jüdischen Friedhof – von den Einheimischen «dritter Friedhof» genannt – instand zu stellen. Und auf einer Wiese wird ein Skelett ausgegraben. Sagenhaft, wie es Eva Menasse versteht, die Menschen in dieser Umgebung, in ihrer Sprache und Geschichte lebendig werden zu lassen. Als Leserin wird man förmlich in dieses Dunkelblum «hineingezogen». Der Ton ist nie moralisch, von oben herab aus der Sicht der unschuldig Nachgeborenen, wir sind da und nehmen teil. Eine grossartige Lektion über den Umgang mit Geschichte, über das Ver-Schweigen und Verdrängen.
Und als wunderbare Ergänzung drängt sich natürlich Sacha Batthyanys UND WAS HAT DAS MIT MIR ZU TUN? auf. Denn die Gräfin, die im März 1945 in Rechnitz auf ihrem Schloss zum Fest einlud und deren Gäste das Massaker verübten, ist seine Grosstante. Seine ganz persönliche Auseinandersetzung mit dem Ver-Schweigen zeigt von innen auf, was Hinschauen heisst.
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