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Ein russischer Albtraum

DER SCHNEESTURM von Vladimir Sorokin

Ein total verrücktes Buch! 2010 geschrieben, aber unverkennbar in der Sprache russischer Klassiker wie Tschechow oder Gogol, und im Inhalt so fantastisch abgedreht, dass das Lesen auch ein permanentes Staunen ist, dass es so etwas gibt: Der Landarzt Platon Garin muss mitten im Winter bei heftigem Schneetreiben in ein entferntes Dorf gelangen, wo eine «bolivianische Pest» wütet, sie macht aus Menschen Zombies mit wenig Geist und riesigen Kräften. Er heuert einen Kutscher an, genannt Krächz, der ihn mit 50 Kleinpferden, nicht grösser als Rebhühner, auf dem Schlitten dahin bringen soll. Garin hat nämlich den Impfstoff dabei, der die noch Gesunden schützen soll. Die Fahrt über weites, russisches Land mitten im Winter wäre schon beschwerlich genug, die beiden Männern haben aber mit noch viel grausigeren Herausforderungen zu kämpfen. Eine Kufe des Schlittens bricht, Krächz kann diese beim Halt in einer Mühle allerdings flicken und der Doktor hat mit der Müllerin einen heftigen one night stand. Bei der Weiterfahrt verirren sie sich in der weissen Wüste, erfrieren fast und stossen dann endlich statt auf ein Dorf auf ein riesiges, behagliches Filz-Zelt von vier «Dopaminierern» und ihren Dienerinnen. Diese verkaufen dem Doktor einen Trip, der zur Horrorreise wird. Weiter geht’s danach mit der Schlittenfahrt - die nächste Panne ist unbeschreiblich und führt zum befürchteten Ende. Die beiden kommen nicht an im Dorf, mehr darf ich nicht verraten. Ich habe nie etwas vergleichbares gelesen, ein Fictionthriller in sehr klassischem Erzählton - Sprache und Figuren des 19. Jahrhunderts, gespickt mit aktuellen und dystopischen Anspielungen. Der Sog und die Spannung des schmalen Romans waren für mich fast unerträglich – gut ist draussen nicht Winter… Sorokin ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Autoren Russlands und dem Regime offenbar nicht freundlich gesinnt.


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