Der Debutroman der 33-jährigen Fatma Aydemir heisst ELLBOGEN und ja, sie rammt diesen den Leser_innen erbarmungslos in den Magen. So viel Wut, Gewalt, Kälte und Abwehr ist mir noch nie begegnet bei einer weiblichen Protagonistin. Die junge Hazal wächst in Berlin Wedding auf, in vollkommen zerrissenen Welten. Zuhause die extreme Enge und Strenge eines konservativen, türkischen Patriarchats. Draussen das Leben in der Berliner Randzone. Der verwöhnte jüngere Bruder ist schon mafiös unterwegs, klaut, lügt und wird zu Hause von der depressiven Mutter zum Macker erzogen. Der Vater arbeitet und verbringt die Abende im Kaffee, von ihm erfahren wir fast nichts, er ist vor allem abwesend. Nur eine aus dem Clan hat es geschafft, die jüngste Schwester der Mutter, sie ist Sozialarbeiterin geworden, lebt allein und verschafft sich mit ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit Respekt.
Hazal sollte die Schule beenden und dann etwas Sinnvolles machen, worauf sie aber keinen Bock hat. Eine Teilzeitarbeit in der Bäckerei des Onkels, sonst ist rumziehen mit ihrer Mädchengang das Wichtigste. Wenn sie zu viert unterwegs sind in Mitte, wo «die andern» leben, bei denen eben alles anders ist, dann ist Wut und Gewaltbereitschaft virulent. An Hazals 18. Geburtstag wollen die Mädchen in einem angesagten Club feiern, sie werden aber nicht eingelassen, der Frust führt zu einer grausamen Gewalteskalation. Hazal flüchtet nach Istanbul, das ihr total fremd ist, sie hat keine Ahnung von der politischen Situation und den Unruhen dort, auch ihr Türkisch ist schlecht. Das Ende bietet keine Hoffnung an, nicht die geringste.
Fatma Aydemir wurde 1986 in Karlsruhe geboren, bereits ihre Grosseltern waren nach Deutschland eingewandert. Sie selbst sagt in einem Interview: «ELLBOGEN ist, soweit ich das bisher mitbekommen habe, auch für deutsch-türkische Leser manchmal ein bisschen too much… Manche denken, man sollte doch gerade jetzt von gelingenden Migrantenleben erzählen. Ich bin allerdings der Meinung, dass wir uns angesichts des AfD-Einzugs in die Parlamente nicht anbiedern müssen.» Though ist nicht nur die Protagonistin, auch die Autorin.