Neue Wege zu alten Geschichten
- Margrit Schaller
- 19. Juli
- 2 Min. Lesezeit
WO AUCH IMMER IHR SEID von Khuê Pham und DSCHINNS von Fatma Aydemir
Diese zwei Romane, 2021 und 2022 erschienen, haben viel gemeinsam, beide finde ich unglaublich spannend und gut zu lesen. Sie gehören zu diesen Werken deutscher Autorinnen, die sich mit den Migrationsgeschichten ihrer Familien auseinandersetzen. Khuê Phams Eltern flüchteten während des Vietnamkrieges nach Deutschland. Sie wuchs in Berlin auf, studierte in London und ist erfolgreiche Journalistin. Ihr erster Roman ist, sagt sie, «eine literarische Annäherung an meine eigene Geschichte». Und das ist für uns alle, die als (naive?) Linke in Europa den Vietnamkrieg von weitem mitverfolgt (und bei Demos gegen die Amis «Ho Ho Ho Chi Minh» skandiert haben) ein Einblick ins Innere von Südvietnam, der einem viel lernt, wenn auch spät. Khuê Pham beschreibt ein vietnamesisches Familienleben in diesen Zeiten und der wortlose Umgang, das grosse Schweigen über die Verletzungen, die Traumata in den Jahrzehnten danach. Erst das Testament der Grossmutter, die von einem ihrer Söhne nach Californien geholt wurde, enthüllt das ganze Drama der Nachkriegszeit und konfrontiert die Söhne und ihre Familien mit der ganzen Geschichte.
Fatma Aydemir vermittelt uns in DSCHINNS differenziert und eindringlich die Zwiespältigkeit und Herausforderungen in Deutschland aufzuwachsen mit einer anderen Herkunftskultur – in ihrem Fall türkisch-kurdisch. Im Roman wandert zuerst der Vater aus, um zu arbeiten und Geld zu verdienen, dann lässt er die Familie nachkommen – bis auf die älteste Tochter, die seinen Eltern schauen muss und nicht zur Schule gehen darf – was sie ihren Eltern nie verzeiht. Das Buch ist in sechs Kapitel gegliedert, jedes erzählt die Geschichte eines Familienmitglieds, vier Kinder und die Eltern. Es beginnt mit dem plötzlichen Tod des Vaters, der, soeben pensioniert nach einem Leben der unerbittlichen Fabrikarbeit, mit dem Ersparten eine Eigentumswohnung in Istanbul erstanden hat. Statt zur Wohnungseinweihung reist die Familie zum Begräbnis an. Die Autorin beschreibt die sehr unterschiedlichen Lebenswege der Familienmitglieder unglaublich packend, sehr nachvollziehbar, in sich stimmig – und ab und zu etwas gar konstruiert. Sie nimmt uns Mitteleuropäer:innen mit auf eine Reise, auf der wir sehr viel erfahren über Menschen, die schon längst unsere Nachbar:innen sind – und von denen wir oft sehr wenig wissen.

