Der kluge Leser Barak Obama hat die beiden schwarzen US-Amerikanerinnen wärmstens empfohlen, Jesmyn Ward und Maya Angelou. Beide Autorinnen habe ich erstmals gelesen und beide haben mich im Innersten berührt und umgetrieben. SINGT, IHR LEBENDEN UND IHR TOTEN, SINGT ist der dritte Roman der 42- jährigen Jesmyn Ward. Im Fokus ist Jojo, ein 13-Jähriger, der mit seiner zärtlich geliebten 3-jährigen Schwester bei seinen Grosseltern in einem Kaff in Mississippi lebt. Die Mutter ist völlig unzuverlässig, meist abwesend, drogensüchtig, der weisse Vater im Gefängnis. Die Grossmutter liegt mit Krebs im Sterben. Grossvater Pop hält die Familie zusammen. Er hält Tiere, sorgt für seine Frau, schaut liebevoll zu den Enkeln, schmeisst den Haushalt. Das Trauma seiner Kindheit zieht durch die ganze Geschichte: Als Jugendlicher war er im (real existierenden) Parchman Gefängnis, wo selbst Kinder und Jugendliche jahrelange Strafen absassen und brutal als Arbeitskräfte ausgebeutet, unterdrückt und gequält wurden. Grossvaters Freund Richie wurde dabei umgebracht – und Jojo verbindet sich immer wieder mit dessen Geist. Ein anderer Verlust prägt die Familie tief: Sohn Given wurde mit 19 erschossen von einem jungen Weissen. Ein grosser Teil des Romans schildert die endlos scheinende Fahrt von Jojo, seiner kleinen Schwester die krank wird, seiner Mutter und deren Freundin zum Gefängnis, um den Vater abzuholen. Das macht das Familienleben noch schwieriger und die Autorin dramatisiert die Abgründe mit immer mehr magischen, surrealen Momenten. Für mich war das etwas irritierend, aber es hat mich doch mit grosser Faszination mitgezogen in eine andere Welt. Jasmyn Ward hat für dieses Werk 2017 den National Book Award gewonnen, nachdem Sie diesen schon 2014 für VOR DEM STURM erhalten hat. So wurde zur einzigen Literatin, die diesen renommierten Preis zweimal errang. Ihr erstes Buch ist nicht auf Deutsch übersetzt.
Erst jetzt wirklich gewürdigt, obwohl schon 1969 im Original, 1980 auf Deutsch erschienen ist die Biografie von Maya Angelou ICH WEISS, WARUM DER GEFANGENE VOGEL SINGT. In den USA ist die 2014 verstorbene, vielseitige Künstlerin inzwischen legendär und hoch verehrt. In den Dreissiger- und Vierzigerjahren in den Südstaaten aufgewachsen, zusammen mit ihrem ein Jahr älteren Bruder Bailey im Krämerladen ihrer Grossmutter, wo es für die schwarzen Baumwollarbeiter mit ihrem kargen Lohn alles gibt was sie brauchen. Die Menschen sind nicht mehr Sklaven, aber das Leben dieser Landbevölkerung ist immer noch geprägt von brutaler Ausbeutung und täglichen Erniedrigungen. Die Kinder werden von der frommen Grossmutter streng erzogen, sind fleissig, gut in der Schule. Die getrennten Eltern leben in Kalifornien, der Vater gilt im Dorf als einer der es geschafft hat. Die Mutter, eine lebensfrohe Schönheit, die ihr Geld in der Halbwelt verdient, holt Maya mit acht Jahren zu sich nach LA, wo sie von deren Freund brutal vergewaltigt wird. Sie darf zurück zur Grossmutter und bleibt mit Bailey dort bis sie 14 ist. Dann kommt sie definitiv nach Kalifornien, San Francisco, in eine ganz andere Welt. Sie erkämpft sich als erste Schwarze den Job als Strassenbahnschaffnerin, geht dann aber zurück zur High School. Das Buch endet mit der Geburt ihres Sohnes, sie ist noch nicht 18. Die Schilderungen der Innen- und Aussenwelt dieser Kindheit und Jugend sind betörend sinnlich und lassen uns in Bildern, ja Filmen, Gerüchen, Tönen und Hitze eintauchen in eine Welt von der wir immer noch wenig wissen und die uns so ganz nahe kommt.